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Produktklassifizierung: Anspruch und Realität

Newsletter 1. Quartal 2012 

Ziel unserer im 3. Quartal 2011 durchgeführten Online-Recherche war die Überprüfung der These, ob die vorhandenen Klassifkationssysteme zur Harmonisierung von Produktinformation beitragen und den Vergleich von Produkten tatsächlich erleichtern.

Der Hersteller eines Elektrowerkzeugs hat in Deutschland die Wahl zwischen 4 verschiedenen Klassifkationssystemen. Dazu kommen international einige andere Standards wie z.B. UNSPSC.

Klare Vorgaben oder Absprachen innerhalb von Branchen darüber, welches System zu verwenden ist, existieren scheinbar nicht. Unsere Stichproben-Recherche in 10 großen Online-Portalen ergab, dass die dort gelisteten Produkte aus dem Segment "Elektrowerkzeuge" (10 Portale, 50 Produkte) im Schnitt folgendermaßen klassifiziert wurden:

a) über ETIM: 8%
b) über Proficlass: 10%
c) über eClass: 32%
d) eigene Merkmale evtl. in Kombination mit einem Standard-Klassifkationssystem: 50%


Es ist also scheinbar die Regel, nicht die Ausnahme, dass Hersteller oder Händler dasselbe Produkt mithilfe unterschiedlicher Klassifikationssysteme klassifizieren. Häufig werden aber eigene Merkmale verwendet, weil sicher häufig die USPs des eigenen Produkts durch den Standard nicht zur Geltung kommen.


Annhäherung an das Thema über die Analyse des Produkts "Elektroschrauber"

Nähern wir uns dem Thema im Detail über die Analyse eines Beispielprodukts - z.B. dem "Elektroschrauber". Hier hat der Hersteller, Importeur oder Großhändler die Qual der Wahl zwischen ETIM, eClass und ProfiClass.

ETIM

ETIM mit der sehr bescheidenen Zahl von 5 Produkteigenschaften. Laut Eigenwerbung nutzen mit ETIM "alle Beteiligten in der Elektroindustrie dieselbe Produkt- und Katalogdatenbasis".

Diese Katalogdatenbasis besteht bei unserem Elektroschrauber aus genau 5 Eigenschaften:


ETIM    Drehschrauber (elektrisch)        
EF001950    Nennleistungsaufnahme    N    Watt (W)
EF004605    Drehmomenteinstellung    R    Newtonmeter (Nm)
EF001951    Maschinengewicht    N    Kilogramm (kg)
EF002842    Max. Drehmoment    V    Newtonmeter (Nm)
EF002843    Werkzeugaufnahme    A    

Bewertung: 
ETIM bleibt hinter dem selbst formulierten Anspruch zurück, für alle Produkte der Elektroindustrie die passenden Attribute vorzuhalten. Die angebotenen Merkmale liegen in englischer Sprache vor; die Übersetzungen wurden von den von uns befragten Fachleuten als nicht optimal bewertet. 

PROFICLASS

ProfiClass stapelt beim Formulieren seiner Ansprüche niedriger. ProfiClass sieht sich als Klassifizierungssystem "speziell auf den Produktionsverbindungshandel auf die Branchen Bauen, Haustechnik und Industriebedarf ausgerichtet". 

Für unser Beispielprodukt, den "Akkuschrauber", finden wir ebenfalls unter "Drehschrauber (elektrisch)" 16 Eigenschaften.

Proficlass    Drehschrauber (elektrisch)    
AAA040f001    Breite    mm
AAA003f001    Gewicht    kg
AAA031f001    Höhe    mm
AAA002f001    Länge    mm
AAC630f001    Leistungsaufnahme    W
AAA091f001    Max. Drehmoment    Nm
AAC759f001    Max. Drehmomenteinstellung    Nm
AAC824f001    Max. Frequenz    Hz
AAC751f001    Max. Leerlaufdrehzahl 1. Gang    U/min
AAC753f001    Max. Leerlaufdrehzahl 2. Gang    U/min
AAC758f001    Min. Drehmomenteinstellung    Nm
AAC823f001    Min. Frequenz    Hz
AAC750f001    Min. Leerlaufdrehzahl 1. Gang    U/min
AAC752f001    Min. Leerlaufdrehzahl 2. Gang    U/min
AAA303f001    Spannung    V
AAC749f001    Werkzeugaufnahme    

Bewertung: 
ProfiClass beschränkt sich auf bestimmte Industriebereiche. Diese Beschränkung führt dazu, dass unser Beispielprodukt immerhin erheblich ausführlicher beschrieben
wird als unter ETIM.


ECLASS

Den eigenen Anspruch formuliert eClass wie folgt: "eCl@ss hat sich als einziger ISO/IEC-normenkonformer Industriestandard national und international durchgesetzt." Dieser Aussage kann insofern betätigt werden, dass sie sich mit den von uns erhobenen Stichproben deckt, die für die getesteten Produkte den Anteil von eClass bei 32% einordnen - bei dem für die Stichprobe relevanten Produktsegment vor ProfiClass (10%), wobei mehr als die Hälfte der Produkte nicht standard-konform gepflegt waren.


In eClass wird für das Produkt "Akkuschrauber" die Klasse "Schrauber Akku" mit diesen Attributen angeboten:

eClass    21-05-21-90 Schrauber (Akku)
AAI047001      Akkuspannung
AAP805001      Artikelbezeichnung
AAO187001      Benennung des SVHC Stoffes
BAF016003      Breite
AAO188001      Gewicht des enthaltenen Stoffes
AAI036001      Gewicht mit Akkupack
AAO663001      GTIN
AAO677001      Hersteller
AAO676002      Herstellerartikelnummer
BAA020005      Höhe
AAI048002      Kapazität des Akkus
BAA018003      Länge
AAO736002      Lieferantenartikelnummer
AAO735002      Lieferantenname
BAE098003      max. Drehmoment
AAJ031001      max. Drehmomenteinstellung
AAI037002      max. Leerlaufdrehzahl (1. Gang)
AAI039002      max. Leerlaufdrehzahl (2. Gang)
AAJ776002      max. Leerlaufdrehzahl (3. Gang)
AAJ032001      min. Drehmomenteinstellung
AAI038002      min. Leerlaufdrehzahl (1. Gang)
AAI040002      min. Leerlaufdrehzahl (2. Gang)
AAJ775002      min. Leerlaufdrehzahl (3. Gang)
AAF583001      Nennspannung
AAO189001      Online Verweis REACH info
AAO190001      Online Verweis Sicherheitsdatenblatt
AAO222002      Produkt überprüft nach SVHC am
AAO847002      Produkttypbezeichnung
AAF507001      REACH Registrierung vorhanden
AAF508001      SVHC Stoff enthalten
AAQ326001      zusätzlicher Online Verweis
AAD931002      Zolltarifnummer (TARIC)

Bewertung:
In Anzahl und Qualität der angebotenen Attribute läßt eClass die beiden "Mitbewerber" definitiv weit hinter sich - 33 Attribute im Vergleich zu 16 bei ProfiClass respektive 5 bei ETIM. Diskutierbar ist die Frage, ob ein Attribut wie "zusätzlicher Online Verweis" sinnvoll ist - in toto wird der Akkuschrauber per eClass umfassend beschrieben, was erklärt, warum eClass den Wettbewerb bei der Marktdurchdringung klar hinter sich läßt.

Darstellung in führenden Produktportalen und Webshops

Um einen Eindruck zu gewinnen, wie die umfangreichen Klassifizierungs-Angebote im konkreten Beispiel angenommen und verwendet werden, werfen wir einen Blick auf führende Produktportale und Webshops und suchen darin das Produkt "Bosch Akkubohrschrauber GSR".

Akkuschrauber bei Mercateo
Bild: Akkuschrauber bei Mercateo. Zum Vergrößern klicken.

Der Screenshot zeigt die Artikel-Attribute, die für das Gerät bei Mercateo ausgegeben werden. Klar erkennbar ist auf den ersten Blick, dass die Bezeichnungen der Merkmale sich nicht nach den Vorgaben der Klassifizierungs-Organisationen richten. Mit 32 Attributen ist das Gerät in etwa so detailliert beschrieben, wie man es auch über eClass erreichen könnte - nur werden hier eigene Attribute des Herstellers mit Eigenschaften aus eClass und - weiter unten - sogar ETIM-Attribute, von denen nur die Nummern erkennbar sind, gemischt.

Klar ist, dass die Anzeige von ETIM-Nummern dem potenziellen Kunden im Shop nichts nutzen wird. Die Möglichkeiten der Klassifizierung wurden zwar genutzt, nur können in diesem Fall 20% der Attribute nicht für eine Suche oder für Produktvergleiche herangezogen werden.

Der von den Klassifizierungs-Organisationen beschworene Vorteil der Vergleichbarkeit von Produkten ist in der Realität wegen der bunt gemischten Nutzung von Attributen nicht möglich. Viele Shop-Betreiber beschränken sich daher auf einen Produktvergleich, der Produkte nebeneinander zeigt, aber nur die Attribute vergleicht, die identische Bezeichnungen haben (Stringvergleich). Alle anderen Merkmale werden bei dieser Nebeneinanderstellung von Produkten außer Acht gelassen.

Fazit

Als Handlungsanweisung für Einsteiger in das Thema Klassifizierung können wir als Ergebnis unsere Recherche raten, die Klassifizierung über ein Klassifikationssystem mit einer für die eigene Branche hohen Markdurchdringung vorzunehmen. Dabei sollte man sich nicht auf die Selbsteinschätzung der Klassifikations-Anbieter verlassen sondern eigene Recherchen anstellen.

Unabhänig davon ist es sinnvoll, Klassifikationssysteme als Anregung zu nutzen und diese um eigene Attribute zur Produktbeschreibung, die vor allem die eigenen USPs hervorheben, zu erweitern. Der dogmatischen Einsatz von Klassifikationssystemen nach dem Motto "wer die Standards bedient, liefert optimale Daten" ist nicht immer korrekt - schließlich möchte jeder Hersteller die Besonderheiten seiner Produkte, also die USPs, auch über eigen Merkmale hervorheben. Abzuwarten bleibt, wie sich die Qualität der vorhandenen Standards weiterentwickelt und welche Klassifikationssysteme sich in den einzelnen Wirtschaftszweigen durchsetzen werden. 


Stichworte: Produktdatenmanagement, Klassifikation
Titel: Klassifikationssysteme - Anspruch und Realität


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